Die Gründerin der Plattform stopFGM und SPÖ-Sprecherin für globale Entwicklung Petra Bayr hat heute, Freitag, zum Pressegespräch mit Expert*innen geladen, um im Vorfeld des Welttages gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM) Aufmerksamkeit und Bewusstsein für diese Form von Gewalt an Frauen zu schaffen. Fokus waren dieses Jahr medizinische und gesundheitliche Folgen von FGM mit Schwerpunkt der Qualifizierung des medizinischen und pädagogischen Fachpersonals. Es sprachen Dr.in Ines Kohl, Geschäftsführerin der Bildungs-NGO Aktion Regen, Dr.in Daniela Dörfler, Frauenärztin an der Medizinischen Universität Wien/AKH, und Dr.in Elena Jirovsky-Platter, Medizinanthropologin an der Medizinischen Universität Wien. Sie alle sind sich einig: „Beratung und Behandlung von Betroffenen kann nur erfolgreich sein, wenn es mehr Bewusstsein im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen gibt.“ ****
Die Forderungen der Plattform sind
- Entwicklungszusammenarbeit schärfen: Eine langfristige, niederschwellige Finanzierungsschiene für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte, die weibliche Genitalverstümmelung abdeckt.
- FGM muss Basiswissen sein: soziokulturelles und pädagogisches Wissen und Bewusstseinsbildung in der medizinischen Aus- und Weiterbildung verankern.
- Wissen bündeln: Wissensaustausch unter Expert*innen aus verschiedenen Fächern, Arbeit mit Peer Groups und Diaspora-Gemeinden sowie dem Globalen Süden.
- Aufklärung ist Vorbeugung: Sexuelle Bildung in der Schule, die Wissen und Bewusstsein über den eigenen Körper schafft und Kindern die Möglichkeit gibt, Nein zu sagen.
Petra Bayr gab beim Pressegespräch einen Überblick über die jahrtausendalte „Tradition“. Weltweit sind 200 Mio. Frauen und Mädchen von FGM betroffen. Die Finanzierungslücke, um diese Praktik bis 2030 zu beenden, ist enorm: Weltweit fehlen 2,1 Mrd. Dollar von 2,4 Mrd. benötigten Mitteln. Bayr stellt ganz klar fest: „Weibliche Genitalverstümmelung ist eine Form patriarchaler Gewalt gegen Frauen. Es geht darum, dass Männer über die weibliche Sexualität verfügen. FGM ist dabei immer eine Menschenrechtsverletzung, sie ist ein enormer Eingriff in die körperliche Autonomie und das weibliche Lustempfinden.“
Dr.in Ines Kohl berichtete von der Aufklärungsarbeit der Aktion Regen, die sich für Frauenempowerment und Familienplanung im Globalen Süden und Sensibilisierung im Globalen Norden einsetzt. Die wichtigste Erkenntnis daraus: „Bildung ist der Gamechanger, wenn es um Tabuthemen und gefährliche Praktiken geht.“ Sie betont, dass für die Arbeit mit Betroffenen und ihren Communities ein ganzheitlicher Ansatz besonders wichtig ist: „Wir müssen ein ganzheitliches Verständnis dafür vermitteln, dass FGM eine schlechte Lebensbasis für Mädchen bietet, denn sie geht meist Hand in Hand mit Schulabbruch, früher Verheiratung und Teenagerschwangerschaften.“ Für Österreich fordert Kohl mehr Kultursensibilität: „Betroffene kennen oft ihren eigenen Körper nicht oder das Tabu ist zu groß, um sich überhaupt damit auseinanderzusetzen.“ Entscheidungsträger, Männer, müssen in alle Maßnahmen einbezogen werden.
Dr.in Daniela Dörfler kam als Frauenärztin, Sexualpädagogin und Sexologin schon früh mit dem Thema in Kontakt und berichtete aus der Praxis, wo oft das Bewusstsein und der richtige Umgang mit Betroffenen fehlen: „Sprachsensibilität ist ein wichtiger Punkt. Es gibt wenig Schlimmeres als wenn von medizinischem Personal mit Entsetzen auf weibliche Genitalverstümmelung reagiert wird.“ Das Wichtigste im Umgang sei eine kompetente Beratung über die praktischen Probleme und Lösungen, die durch FGM entstehen: „Die Patient*innen kommen mit Problemen, die sie nicht auf FGM zurückführen. Sie urinieren lange, haben oft Infektionen oder einen Kinderwunsch. Hier geht es darum aufzuklären, was möglich ist. Die Narbenplatte, mit der die Vulva verschlossen wird, kann geöffnet werden, um Geburten zu ermöglichen oder Schmerzen zu lindern.“
Dr.in Jirovsky-Platter berichtete von ihrem Forschungsprojekt, gemeinsam mit Dr. med. univ. Louise Siebe und Dr. med. univ. Erna Schranz, in dem sie Interviews mit Angestellten aus dem Gesundheits- und Sozialarbeitsbereich durchführten. Die Ergebnisse zeigen, dass bei Bewusstsein und Behandlungsqualität ein klares Stadt-Land-Gefälle besteht. Wien weise eine starke Konzentration der Expertise auf. Das Wissen um FGM haben sich alle Expert*innen, mit denen Jirovsky-Platter gesprochen hat, selbst angeeignet. Sie pocht deswegen auf mehr Standardisierung: „In Österreich gibt es keine geltende Leitlinie für den Umgang mit weiblicher Genitalverstümmelung. Die Qualität der Behandlung ist deswegen sehr von den behandelnden Personen abhängig. Solche Leitlinien können eine Hilfestellung für Leute sein, die noch nicht mit FGM in Kontakt gekommen sind. Eine bundesweite Leitlinie ist gerade in Arbeit, ich wünsche mir hier viel Schwung in der Umsetzung.“